Was springende Kühe mit Veränderungsprozessen zu tun haben

Veränderungen werden immer wieder begleitet von Widerständigem. Ist das nicht der Fall, werden sie nicht wirklich ernstgenommen. Als Symbole dafür sprangen mir zwei Bilder ins Auge: Das eine war der Blick auf eine Mauer, auf der nur das Wort "Wartesaal" prangte.

Ich erlebe immer wieder, dass bei anstehenden Veränderungen in Organisationen viele Beteiligte auf die anderen zeigen und dabei betonen: Sie selbst würden sich resp. den problematischen Tatbestand selbstverständlich gern ändern. Sie hätten das auch schon längst getan. Aber die anderen würden sich ja überhaupt nicht bewegen. Alle warten also aufeinander und nichts tut sich.

Veränderungen den Rücken zukehren

Ein anderes Bild zeigte dicht nebeneinanderstehende Kühe von hinten. Noch immer ist diese "Rückansicht" für mich das Symbol für Widerständiges - und seinen tiefen Sinn: Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Kühe beim Melken oft nebeneinander stehen wie festgenagelt. Ich musste ihnen gut zureden, ihnen einen Klaps versetzen, mich gegen sie lehnen und beharrlich drücken. In den seltensten Fällen begeben sie sich von sich aus in eine andere Position. Wenn es hart auf hart kommt, können sie ungeheuer schnell darin sein, ein Hinterbein zu heben und einen kurzen, aber schmerzhaften Tritt zu versetzen. Der führt den offensichtlich nötigen Respekt vor Augen. Beim nächsten Umgang mit ihnen ist man dann noch vorsichtiger.

Freiwillig nehmen sie eine andere Position nur unter einer Voraussetzung ein: Sie haben dadurch eine spürbare Verbesserung ihrer Situation erlebt, in diesem Fall z.B. die Linderung von Euterentzündungen. Insofern steht das Bild dafür, (zunächst) in den angestammten Rollen und den gewohnten Verhaltensweisen zu verharren. Sie und damit die eigenen Interessen (scheinbar stur) zu verteidigen. Veränderungen im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken zuzukehren. Sie nur dann zuzulassen und sogar durch eigene Bewegung zu unterstützen, wenn damit auch unmittelbare Vorteile für eine/n selbst verbunden sind und diese möglichst sofort wahrgenommen werden können. - Genauso verhalten sich legitimerweise Personen, Gruppen und Organisationen in Veränderungsprozessen.

Den Sprung wagen

In der Schweiz fand ich die Fortsetzung dieses Motivs. Es war ein Werbeplakat für Milch. Darauf flog eine Kuh in einem kühnen und eleganten Sprung über ihre Artgenossinnen hinweg, die in der o.g. „Rückansicht“ der nebeneinanderstehenden Kühe verharrten. Selbstverständlich ist eine wesentliche Maxime unserer Beratungstätigkeit, mit dem und nicht gegen den Widerstand zu arbeiten. D.h., Interessen, Bedenken und Ängste ernst zu nehmen und nicht zu übergehen. Aber jede Veränderung lebt davon, dass wir an irgendeinem Punkt das Herz in beide Hände nehmen. Dass wir den Sprung auf neues Terrain und damit ins Ungewisse wagen, über die inneren und äußeren Widerstände hinweg, die meist lange geprüft, hinlänglich bekannt und zuletzt manchmal eher hinderlich als wirklich noch warnend sind.

Auf dem Plakat war es auch wieder wie im richtigen Leben: Wo und wie die Kuh landen würde, was sie letztendlich dazu bewogen hatte, überhaupt den Sprung zu wagen, war nicht abgebildet und blieb damit zumindest für Außenstehende unklar. Es ging darum, den Sprung zu wagen - unter Umständen sogar auch für sich selbst in dem konkreten Moment unerwartet, aber aus vollem Herzen und mit ganzer Kraft. Ich kenne kein Werbeplakat, das mein Innerstes mehr angesprochen und mir mehr Mut gemacht hätte.

Auch andere wurden und werden von diesem Symbol inspiriert. Einer von ihnen, Winfried Plümpe, hat eine farbenfrohe künstlerische Interpretation vorgenommen (oben sehen Sie, stark verkleinert, nur eine seiner Variationen).

Auch meine Deutung hat sich mittlerweile weiterentwickelt: Für mich steht das Bild mit der springenden Kuh für jede Art von Entwicklung. Da gibt es immer diejenigen, die viele gute Gründe haben, im Vertrauten zu verharren und das Erreichte auch zu verteidigen - und sei es durch "Ausbremsen", "Stillhalten", "Tot stellen". Es ist immer angeraten, den Ursachen und dem Sinn dieses Verhaltens nachzugehen. In manchen Fällen dient es bei Lichte betrachtet dazu, Sinnvolles gegen unsinnige Neuerungen zu schützen. Zugleich gibt es immer auch diejenigen, die Visionen von anderen Möglichkeiten haben und den Sprung wagen. Das sind nicht automatisch die Besseren von beiden. So manche Avantgarde hat die Sorgen und Bedenken der Betroffenen bloß übersprungen und damit aus den Augen verloren. Auch manche neueste Parole für das Management von Organisationen ist schneller wieder unmodern als umgesetzt. Aber, um in Winfried Plümpes bunten Bildern zu bleiben: Die springende Kuh ist in jedem Fall die bunteste, die mit der größten Vielfältigkeit in ihrem Inneren, die waghalsigste.

Kontinuität und Wandel

Und damit ist der andere Aspekt angesprochen, der bei Entwicklungen immer eine Rolle spielt: Es gibt nicht bloß die Konservativen und die Innovativen (und eine ganze Menge dazwischen). Es geht auch nur durch Kontinuität und Wandel, durch das Anknüpfen an die vorhandenen Stärken und deren Ausbau. In der Sprache der Beratenden wird das "Anschlussfähigkeit" und "Ressourcenorientierung" genannt.

Ich habe schon sehr vielen meiner Geschäftspartnerinnen und -partner eine solche Karte mit einer springenden Kuh geschickt. Die Botschaft wurde immer verstanden. Und auch Ihnen wünsche ich hiermit weiterhin viel Lust an und Mut zu großen Sprüngen sowie Erfolg bei Ihren Landungen im Ungewissen.

Wir unterstützen Sie gern!